Musikalische Leitung
Georg Fritzsch

Ausstattung
Andreas Becker

La Bohème

Oper in 4 Bildern
Musik von Giacomo Puccini
Libretto von Giuseppe Giacosa und Luigi Illica
Badisches Staatstheater Karlsruhe, 24. Juni 2023

 

LETZTE PREMIERE ERFÜLLT SEHNSÜCHTE

Mit „La Bohème“ versöhnt Ulrich Peters in Karlsruhe das Publikum

Karlsruhe (ISt). Die Erwartungen waren so hoch wie nur selten: Mit der Oper „La Bohème“ betritt Intendant Ulrich Peters in Karlsruhe vermintes Feld. Einer lange gespielten und beliebten Inszenierung von Giancarlo del Monaco aus den 1980er Jahren folgte Anna Bergmanns umstrittene Deutung im Jahr 2015. Peters Inszenierung versöhnt die Herzen. Das Permierenpublikum feiert die Produktion am Samstag im Badischen Staatstheater mit lange anhaltendem Jubel.
Mit der beliebten Oper von Giacomo Puccini geht eine spannende Spielzeit zu Ende.

NUR WEIHNACHTEN IST SCHÖNER
Zauberhafte „La Bohème“ in der Regie von Ulrich Peters beendet Opernsaison in Karlsruhe
Sanft rieselnder Schnee, schimmernde Weihnachtskugeln in Menschengröße und Musik, die fröstelnde Herzen erwärmt – gewiss: Im schwülen Karlsruher Hochsommer ist diese zauberhafte Opernproduktion um eine sterbende junge Frau, deren letzter Wille ein wärmender Muff ist, ein interessanter Kontrast.
Für das Karlsruher Publikum aber ist sie genau das, was es seit 16 Jahren vermisst. Im Jahr 2007 nämlich wurde die beliebte Inszenierung von Giacomo Puccinis „La Bohème“ in der Regie von Giancarlo del Monaco nach 20 Jahren vom Spielplan genommen. Anna Bergmanns Inszenierung im Jahr 2015 konnte die Herzen nicht erobern. Jetzt hat Ulrich Peters, der das Badische Staatstheater noch ein weiteres Jahr übergangsweise leitet, nachgelegt und einhelligen Jubel auf seiner Seite: So entzückend kann Oper sein.
Verwinkelte Gassen, Straßenlaternen, Vollmond und Eiffelturm. Ulrich Peters nimmt „La Bohème“ beim Wort und lässt seiner Liebe zum Regie-Handwerk freien Lauf. Das opulente Bühnenbild von Andreas Becker mit bezaubernden Kostümen entführt die Zuschauer in eine Welt voller Magie. Als Christbaumkugeln huschen Statistinnen durch das bunte Treiben auf dem Platz vor dem Café Momus, während die Cancan-Tänzerinnen ihre Beine elegant in die Höhe werfen. Zwischen dem am Weihnachtsabend stark besuchten Café und den verwinkelten Gassen eröffnen sich liebevoll gestaltete Bereiche, die bis ins kleinste Detail verzaubern.

Regisseur Peters verlegt die im Pariser Künstlermilieu spielende Geschichte in die Zeit zwischen den Weltkriegen und lässt sie in einem von Krieg beschädigten und nun geschlossenen Theater spielen. Alle Szenen umweht ein verwitterter Zauber. Peters verbindet den Charme des Verfallenen mit dem Typischen Flair von Paris. Melancholie und nostalgische Stimmung lassen das Publikum in eine vergangene Ära der Stadt eintauchen.
Es beginnt im ehemaligen Probenraum, dessen linke Hälfte vom Bombeneinschlag in Schutt und Asche liegt. Dort, wo es der Boden erlaubt, hausen der Dichter Rodolfo und der Maler Marcello mit herrlichem Blick über Paris und den Eiffelturm. Ein Werbeplakat für Parfum hängt an der brüchigen Wand. Es trägt die Worte „L’Amour n’est pas une Illusion“. Zum Ende des Stücks wird der übermalte Schriftzug das Gegenteil behaupten. Denn es geht nicht allein um das Leben im Pariser Künstlermilieu. Es geht um gebrochene Herzen.
Tragische und komische Elemente befeuern sich im Libretto von Luigi Illica und Giuseppe Giacosa. Peters entwickelt darüber eine hinreißende Gruppendynamik vor allem in der Clique mittelloser Künstler, die sich wie Lausbuben verhalten. So bekommt etwa der lästige Vermieter buchstäblich unreinen Wein eingeschenkt. Marcello spült sein Glas geschwind mit Spucke, weil Benoît mit der Mahnung in die gemütliche Runde bei Marcello und Rodolfo platzt.

Badische Neueste Nachrichten 26.06.2023 Isabel Steppeler

 

KLEINE DINGE, GROSSE GEFÜHLE

Gefeierte Premiere von Giacomo Puccinis Oper „La Bohème“ am Badischen Staatstheater in Karlsruhe in der Regie von Ulrich Peters

Die letzte Opernpremiere der Saison am Badischen Staatstheater Karlsruhe war ein großer Publikumserfolg. Begeisternden Beifall für alle gab es für die neue Produktion von Giacomo Puccinis Oper „La Bohème“ in der Regie von Intendant Ulrich Peters und unter der musikalischen Leitung von Generalmusikdirektor Georg Fritzsch.
Der noch bis 2024 tätige Intendant lieferte eine überlegte und starke eigene Einstudierung, die freilich ebenfalls ganz bei der Geschichte bleibt. Dafür findet Peters im Grunde naheliegende, aber doch auch sehr starke Bilder. Akzente setzt die Regie in der sehr ansprechenden Ausstattung von Andreas Becker durch Details am Rande. In seiner Version spielt das Stück vor etwa 100 Jahren zwischen den Weltkriegen in einem kaputten Theater. Durch das große Fenster ist die Kulisse von Paris mit Eiffelturm zu sehen, nicht außergewöhnlich, aber optisch wirkungsvoll. Sinnfällige Theaterplakate sind in allen Bildern zu sehen. Am stärksten wirkt Ulrich Peters Regie in der Schlussszene. Mimì liegt tot auf ihrem Lager – und alle verlassen nach und nach die Szene. Das hat viele Effekte: die Freunde wissen nicht mit dem Sterben der jungen Frau umzugehen, wäre eine Deutung. Die tote Mimì umgibt eine fast sakrale Aura, eine andere. Es gibt so vor allem keine theatralische Betroffenheit, kein Bühnenpathos welcher Art auch immer.
DIE RHEINPFALZ - Ludwigshafener Rundschau vom 27.06.2023

 

Überirdisch schön

Freude und Schmerz in Puccinis „La Bohème“

…Nun präsentiert Regisseur und Intendant Ulrich Peters eine neue Produktion… Eine unaufgeregte, im besten Sinne angemessenen Personenführung trifft sich mit wunderschönen Bühnenbildern (Andreas Becker), wie man sie in Karlsruhe seit vielen, vielen Jahren nicht mehr sehen durfte…
Der optische Höhepunkt ist wohl der detailreiche Platz mit dem Café Momus im zweiten Akt.
Auch musikalisch hinterlässt die Aufführung einen nachhaltigen Eindruck, allen voran Ina Schlingensiepen als Mimi. Sie gibt eine zerbrechliche, gesanglich tief berührende Näherin, die niemanden kalt lässt. Wenn sie an Schluss wie eine erloschene Kerze allein auf der leeren Bühne zurückbleibt, ist das ein wahrhaft ergreifendes Bild.
So hat das Staatstheater wieder eine mitreißende Erfolgsproduktion, die sich viele Jahre im Spielplan halten wird. Und endlich kommen auch einmal wieder die Zuschauer zu ihrem Recht, die einfach eine schöne, zeitlose Produktion sehen wollen, ohne unverständliche Regieeinfälle und ohne eine Ausstattung vom Discounter.
Orpheus  Sept./ Okt. 2023   Manfred Kraft

 

Interims-Chef Ulrich Peters, für noch eine Spielzeit bis 2024 als Intendant tätig, legte selbst Hand an. Er versuchte, auf seine eigene Weise zu bezaubern, dies gelang ihm nicht zuletzt dank der kaum minder opulenten Szenerie von Andreas Becker, der auch die dazugehörigen Kostüme, ebenfalls eine kostbare Augenweide, verantwortete.
…Der Ausblick auf den Eiffelturm und die schier unendliche Dachlandschaft beidseits der Seine ist mit seinen Beleuchtungseffekten atemberaubend…Im quirligen Momus-Bild schillert die Welt in bunten Farben und bietet in seinem wuseligen Treiben allerlei weihnachtliche Accessoires – ganz nach Pariser Art.
… Keine Frage, diese Inszenierung zeigt als Ganze Niveau … und hat das Zeug zum Dauerbrenner. Das Hochgefühl, endlich wieder Oper erleben zu dürfen, die berührt, emotional aufwühlt und die Sinne erfreut…ließ sich zu keiner Zeit ausblenden. Und hinter dieses Glück setzte das Publikum …mit langanhaltenden Ovationen ein demonstratives Ausrufezeichen.
Das Opernglas 9/2023   J.-M. Wienecke

 

Stimmungsvolle Bilderfolgen

Die Inszenierung von Ulrich Peters (Bühne und Kostüme: Andreas Becker) ist sehr opulent  und ausgesprochen stimmungsvoll. Sie lässt diese Oper in der Zeit zwischen den Weltkriegen spielen. Alle hoffen auf bessere Zeiten. Und es ist auch die Welt, die Puccini während seines Studiums in Mailand kennenlernte.

Die Zeitlosigkeit der Handlung fällt in dieser gelungenen Inszenierung immer wieder auf. Die Figuren sind von großer Aktualität, nicht nur wegen ihrer Nähe zu manieristischen Epochen. Sie fürchten sich vor der Realität und akzeptieren die Herausforderungen des Erwachsenwerdens nicht. Das Drama der sozialen Außenseiter wird dabei aber nicht überzeichnet, sondern eher  dezent angedeutet.
Am Schluss einhelliger Jubel.

25.06.2023 | Oper international  Alexander Walther

 

VORBERICHT BNN:

Rettung für Mimì in Sicht

Erwartungen vor „La Bohème“ hoch: Erreicht die letzte Karlsruher Opernpremiere die Herzen?

Isabel Steppeler

Karlsruhe. „Theater, Theater, das ist wie ein Rausch“, singt Katja Ebstein 1980 in ihrem Beitrag für Deutschland beim Grand Prix in Den Haag. Der Song schildert gewissermaßen eine aufregende Welt, in die Intendant Ulrich Peters am Badischen Staatstheater mit der nun anstehenden letzten Opernpremiere dieser Spielzeit verführen möchte.
Für „La Bohème“ von Giacomo Puccini öffnet sich an diesem Samstag der Vorhang. Die Welt vor und hinter den Kulissen eines geschlossenen Theaters möchte Peters in seiner Inszenierung zeigen, wie er gegenüber dieser Redaktion verrät. Sie spielt demnach in einer Theaterwelt, in der vier arbeitslose Künstler nicht viel zustande bringen, nicht erwachsen werden wollen. In Paris soll die Liebesgeschichte von Rodolfo und Mimì außerdem spielen. Auf Henri Murgers Roman „Scènes de la vie de bohème“ basierend, kreist nämlich auch Puccinis Oper um die lebensfrohe und bunte Pariser Künstlerwelt. „Es ist völlig sinnlos, das woanders hin zu verlegen“, sagt Peters.
Das mussten die Karlsruher schon anders erleben. Die letzte „Bohème“-Inszenierung aus dem Jahr 2015 ist vielen noch bitter in Erinnerung. Nicht etwa deswegen, weil sie in den New Yorker Central Park führte. Vielmehr deshalb, weil Regisseurin Anna Bergmann – noch vor ihrer Zeit als Schauspieldirektorin in Karlsruhe – Tabula rasa machte mit Puccinis Ideal-Mimì.
Bergmann zeigte in ihrer viel diskutierten Deutung eine Mimì, die am Rande der Gesellschaft steht und ihr Leben als gebrochene Junkie-Hure aushaucht. „Wollen Sie vielleicht meine Brüste sehen?“, fragte diese Mimì in einem Monolog, den Bergmann eigens für die Pause vor dem vierten Bild neu einführte. Entsprechend scharf lautete die Antwort von den Rängen wie im Kasperle-Theater: „Nein!"
Kurze Vorgeschichte: Eine äußerst beliebte „Bohème“-Inszenierung, die in Karlsruhe von 1987 bis 2007 lief, hatte die Messlatte hoch gelegt. Giancarlo del Monaco schenkte dem Haus einen zeitlosen und beliebten Klassiker, von dessen Zauber und Intensität man heute noch schwärmt.
Von Regietheater um jeden Preis hält Ulrich Peters nichts. „Ich bin nicht der große Konzept-Regisseur“, sagt er. Ein Ausrufezeichen will er dennoch setzen zum Abschluss einer Opern-Spielzeit, die er mit Erfolgen und strittigen Inszenierungen als „gemischt“ erlebt habe. Das Regie-Handwerk sei ihm wichtiger als ein Konzept, das sich auf der Bühne aber nicht erklärt. Gleichwohl habe er zu jeder Figur eine Lebensgeschichte ersonnen, damit all das Lieben und Leiden in dieser beliebten Oper mit Elementen des italienischen Verismo auf der Bühne auch authentisch wirkt.
Alles in allem wurde das Bühnenbild laut Peters so kostspielig, dass sich der Intendant mit dem Förderverein des Theaters zusammensetzte und folgender Deal entstand: Im Gegenzug für finanzielle Unterstützung soll es ein Gala-Diner geben für den Freundeskreis und alle, die teilnehmen möchten. Da ließ sich die Gesellschaft der Freunde e.V., die in diesem Jahr ihr 50-jähriges Bestehen feiert und mit 1.300 Mitgliedern laut eigenen Aussagen der größte Kulturförderverein der Stadt ist, nicht zweimal bitten.
Die Idee wird am 6. Juli realisiert: Ein Caterer verwöhnt die Gäste dann aber nicht etwa in der Theaterkantine, sondern exklusiv im Bühnenbild, also im Café Momus im Quartier Latin, der Stammkneipe der „Bohèmiens“. Zwischen den Gängen sollen Künstlerinnen und Künstler Musik und Schauspiel darbieten. Ganz umsonst kommt man in den Genuss zwar nicht. Das Ticket zum Gala-Diner ist limitiert und kostet 150 Euro pro Person. Doch für Peters bedeutet das Diner auch den Aufwand einer kleinen Extra-Inszenierung.
„Das ist es mir wert“, sagt Peters. Ihm liegt nämlich auch unabhängig von der Finanzspritze für sein Bühnenbild am Herzen, den Theaterfreunden und somit allgemein dem bürgerschaftlichen Engagement seine Dankbarkeit auszudrücken. In den 50 Jahren seines Bestehens hat der Verein das Badische Staatstheater mit mehr als zwei Millionen Euro unterstützt. Allein in der aktuellen Spielzeit soll eine Rekordfördersumme von mehr als 100.000 Euro an das Staatstheater überreicht werden. Im Zuge der Kürzungspläne der Stadt im Bereich der Kultur „wird das Staatstheater mehr noch als bisher auf private Förderer angewiesen sein“, sagt Peters.
Noch ein weiteres Mal wird Peters, der von 1997 bis 1999 Oberspielleiter am Staatstheater war, in der nächsten Spielzeit eine Oper inszenieren in der Zeit seiner Interimsintendanz. Er führt Regie in der Oper „Siroe, re di Persia“ bei den Händel-Festspielen 2024. Und er freut sich auf die weiteren Premieren der kommenden Spielzeit wie Mozarts „Così fan tutte“ oder Alexander von Zemlinskys „Der Kreidekreis“.
In einem Jahr endet für Peters die Zeit in Karlsruhe. Ab der Spielzeit 2024/25 wird Christian Firmbach neuer Intendant am Staatstheater. „Nach der Pandemie hat es angefangen Spaß zu machen“, sagt er. „Jetzt schleicht sich eine gewisse Wehmut ein.“